Was als formale Personalie begann, ist längst zum diplomatischen Drahtseilakt geworden: Die Causa Fatmir Velaj – auch unter dem Namen Fate Velaj bekannt – entwickelt sich zur Staatsaffäre. Im Zentrum steht ein Mann, der laut offizieller Vita Künstler, Intellektueller und Politiker ist – doch Recherchen, unter anderem von FoB.at, werfen ein anderes Bild. Und mit ihm rückt auch Außenministerin Beate Meinl-Reisinger in den Fokus unbequemer Fragen.
Hinweise auf geheimdienstliche Verbindungen?
Laut FoB.at verfolgen investigative Teams in Albanien derzeit mögliche Spuren, die auch Verbindungen von Velajs Umfeld zu ehemaligen jugoslawischen Geheimdiensten nahelegen. Konkrete Belege liegen bislang jedoch nicht vor – es handelt sich um laufende Recherchen.
Vom Parlament in Tirana zur Botschaft in Wien – eine Karriere mit Fragezeichen
Velaj wurde 2023 von Premierminister Edi Rama als Botschafter in Wien vorgeschlagen – gegen den Widerstand des albanischen Präsidenten, wie dosja.al berichtete. Es ist nicht das erste Mal, dass Rama parteipolitisch motivierte Personalentscheidungen durchsetzt. Velaj, der 2017 als unabhängiger Abgeordneter ins Parlament eingezogen war, wurde im Laufe seiner Karriere mehrfach durch politische Nähe zum Regierungschef begünstigt. Kritiker, etwa bei Reporter.al, stellen dabei seine fachliche Eignung infrage.
Die offizielle Akkreditierung erfolgte erst 2024 – offenbar nach Interventionen durch das österreichische Außenministerium (BMEIA). Denn Velaj besaß zu diesem Zeitpunkt die österreichische Staatsbürgerschaft. Laut BMEIA-Korrespondenz und in Übereinstimmung mit Artikel 8 der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen dürfen Botschafter jedoch keine Bürger des Empfangsstaates sein. Erst nach Medienberichten und Behördenanfragen soll Velaj seine Staatsbürgerschaft zurückgelegt haben.
Deklarierte Millionen und heimliche Sozialhilfe?
Bereits 2018 erklärte Velaj in seiner Vermögensaufstellung gegenüber dem albanischen Parlament ein Privatvermögen von rund 1,77 Millionen Euro. Darin enthalten: Immobilienanteile in Vlora, Kunstwerke im Wert von über einer Million Euro und diverse Konten in Tirana und Wien, laut albanischen Parlamentsunterlagen. Auch in der TV-Sendung Opinion wurde er im Jahr 2017 unter die 8 reichsten Politiker Albaniens gelistet.
Doch laut Informationen des investigativen Portals Fass ohne Boden (FoB.at, Bericht vom 12.02.2025) soll Velaj trotz dieses Vermögens in Österreich Sozialhilfe bezogen haben. Sollte sich das bestätigen, stünde der Verdacht des Sozialmissbrauchs im Raum – ein Fall für die österreichischen Ermittlungsbehörden.
Schutz für gesuchte Verwandte?
Zusätzlich steht der Vorwurf im Raum, Velaj habe seiner Schwägerin, Erjona Daupaj, in der Botschaft in Wien Unterschlupf gewährt. Daupaj wird von der albanischen Anti-Korruptionsbehörde SPAK im Zusammenhang mit dem sogenannten „Toyota-Yaris“-Skandal gesucht – einem Fall mutmaßlicher Geldwäsche und Justizkorruption, wie pamfleti.net 2024 berichtete. Laut dem Medium Prapaskena (Dezember 2024) soll sich Daupaj zeitweise in den Räumen der Botschaft aufgehalten haben. Sollte dies zutreffen, wäre das ein Verstoß gegen diplomatische Gepflogenheiten und könnte internationale Vereinbarungen zur Rechtsstaatlichkeit verletzen. Die albanische Opposition spricht laut Koha.net bereits von „krimineller Diplomatie“.
Ein österreichischer Ermittler sagte gegenüber exxtra24: „Das Innenministerium bzw. die Polizei könnte anhand von Standortdaten und Mobilfunkbewegungen das Bewegungsprofil von Erjona Daupaj leicht nachvollziehen.“ Diese Daten seien in der Lage, soziale Kontakte und Aufenthaltsorte eindeutig zu identifizieren – auch aus anonymisierten Metadaten.
„Toyota Yaris“ – Anklage gegen Anwalt Radovan Çela wird vor Gericht gebracht
Wie LAPSI.al am 29.04.2025 berichtete, hat das Sondergericht gegen Korruption und organisierte Kriminalität (GJKKO) die Anklage gegen den Anwalt Radovan Çela im Zusammenhang mit dem Strafverfahren zur sogenannten „Toyota Yaris“–Affäre zur Hauptverhandlung zugelassen. Die Verteidigung hat ein Schnellverfahren beantragt und erklärt sich bereit, dass das Verfahren auf Grundlage der bisherigen Unterlagen der Sonderstaatsanwaltschaft SPAK geführt wird. Eine Entscheidung über diesen Antrag wird für den 12. Mai erwartet.
Albanische Community fordert Konsequenzen
Innerhalb der albanischen Diaspora in Österreich mehren sich die Stimmen, die eine diplomatische Neuaufstellung fordern. In Gesprächen und Ersuchen an Ministerpräsident Rama wird betont, dass Velaj dem Ansehen der albanischen Vertretung schade und der Wunsch nach einer Nachbesetzung eines neuen Botschafters in Wien besteht.
Fragen, die keine Antworten finden
Trotz mehrfacher Presseanfragen lehnt Botschafter Velaj jede Stellungnahme ab und beruft sich auf seine diplomatische Immunität. Das österreichische Außenministerium gibt sich ebenfalls zurückhaltend – wohl auch, weil es selbst Teil der Personalentscheidung war. Dabei drängen sich wichtige Fragen auf: Wurde die Personalie ausreichend geprüft? Gab es politischen Druck? Und wie rechtfertigt sich das gegenüber der österreichischen Öffentlichkeit?
Fass ohne Boden hat nach eigenen Angaben 17 konkrete Fragen an Velaj gerichtet – zu seinem Vermögen, seinen politischen Kontakten, zum Verdacht des Sozialbetrugs und zum angeblichen Schutz einer gesuchten Person in der Botschaft. Bis heute blieb jede Antwort aus, so FoB.at.
Politisches Schweigen oder diplomatische Duldung?
Beate Meinl-Reisinger, seit kurzem Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten, sieht sich nun mit einem Fall konfrontiert, der nicht nur außenpolitisch brisant ist, sondern auch ihre Amtsführung in ein kritisches Licht rückt. Welche Prüfprozesse wurden eingehalten? Gab es Einflussnahme von außen? Und wie gedenkt man nun zu handeln?
In sozialen Medien kursieren derweil ironische Spitznamen wie „der Elektriker“ für Velaj – eine Anspielung auf frühere Tätigkeiten. Aussagen wie „Ich bin nicht des Amtes wegen gekommen“ (zitiert aus einem Video von Prapaskena.com) befeuern die Spekulationen über seine tatsächlichen Absichten. Schlechte Erinnerungen gibt es auch an den 8. Mai 2013, wo Fate Velaj vor dem „Komisioni Hetimor i Veshit“ (Untersuchungsausschuss zum „Ohr-Vorfall“) im Parlament in Tirana aussagte und seinen Ruf als Provokateur festigte.
Ein Fall mit internationaler Tragweite
Während sich die politische Führung in Tirana offiziell bedeckt hält, berichten mehrere Medien, darunter Reporter.al, dass Premier Edi Rama nach den Wahlen am 11. Mai 2025 über eine mögliche Abberufung Velajs nachdenkt. In Österreich wächst der politische Druck: In parlamentarischen Ausschüssen ist der Fall bereits Thema, und einige Abgeordnete fordern – in Abhängigkeit von der Kooperation Albaniens – die Aufhebung seiner Immunität.
Fazit: Zeit für diplomatische Konsequenzen
Die Causa Velaj zeigt auf drastische Weise, wie politischer Protektionismus, institutionelles Versagen und diplomatische Immunität eine gefährliche Allianz bilden können. Wenn sich bewahrheitet, dass ein Sozialhilfeempfänger mit Millionenvermögen zum Botschafter berufen wurde und dabei gegen internationale Vereinbarungen verstößt, wäre das ein diplomatischer Präzedenzfall. Für Außenministerin Beate Meinl-Reisinger und das BMEIA bleibt nur ein Weg: vollständige Aufklärung und konsequentes Handeln. Andernfalls droht der österreichischen Außenpolitik ein schwerer Reputationsverlust.
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