Es klingt nach einer Superkraft. E-Mails beantworten, während du in einem Call sitzt. Nebenbei Nachrichten schreiben. Noch schnell ein YouTube-Video laufen lassen. Und dabei – irgendwie – auch noch nachdenken.
„Ich kann gut multitasken“, sagen viele. Manchmal sogar mit Stolz. Als wäre es eine Fähigkeit, mit der man sich für höhere Aufgaben qualifiziert.
Die Wahrheit? Es gibt kein echtes Multitasking – nur sehr schnelles Hin- und Herwechseln. Und das ist alles andere als effizient.
Multitasking fühlt sich an wie Produktivität auf Speed
Es gibt einem das Gefühl, mehr zu schaffen, als andere. Es klingt nach Karriere, nach Kontrolle, nach einem modernen Hirn, das mit der Zeit geht. Aber die Neurowissenschaft sagt: Genau das Gegenteil ist der Fall.
Das Märchen vom parallelen Denken
Lange dachten auch Forscher, das menschliche Gehirn sei multitaskingfähig – zumindest ein bisschen. Dass man sprechen und denken, schreiben und hören, fahren und reden kann.
Doch dann kam ein Team von der Stanford University: Dr. Eyal Ophir, Clifford Nass und Anthony Wagner. Sie untersuchten Menschen, die sich selbst als geübte Multitasker beschrieben – und testeten ihre Fähigkeiten: Fokus, Gedächtnis, Aufmerksamkeits-Steuerung.
Das Ergebnis war verblüffend – und ernüchternd: Je mehr Menschen multitaskten, desto schlechter schnitten sie bei allen kognitiven Tests ab.
Sie waren langsamer. Flüchtiger. Fehleranfälliger. Und das Paradoxe:
Gerade diejenigen, die sich für besonders gut hielten, waren am anfälligsten.
Das Gehirn – ein Einspurstraßenwesen
Neurologe Dr. Earl Miller vom MIT vergleicht das Gehirn nicht mit einem Multicore-Prozessor, sondern mit einer schmalen Einbahnstraße: „Wenn wir versuchen, zwei Dinge gleichzeitig zu tun, dann wechseln wir in Wahrheit ständig hin und her – und das kostet uns jedes Mal Zeit, Energie und Fokus.“
Das Gehirn ist nicht dafür gemacht, gleichzeitig komplexe Aufgaben zu bearbeiten. Klar, man kann Kaugummi kauen und gehen. Aber ein Gespräch führen, während man Mails schreibt? Unmöglich.
Denn mit jedem Wechsel muss das Gehirn sich neu orientieren, den Kontext neu laden. Das kostet nicht nur Zeit – laut der American Psychological Association kann dieser Wechsel den Produktivitätsverlust auf bis zu 40 % treiben.
Der Trugschluss fühlt sich gut an
Und doch wirkt Multitasking – wie eine kleine Droge.
Jede abgeschickte Nachricht, jeder Wechsel zwischen den Aufgaben schüttet Dopamin aus. Das Belohnungshormon. Es ist das gleiche, das beim Scrollen, Snacken oder Kaufen aktiv wird.
- Wir fühlen uns fleißig – obwohl wir nichts zu Ende bringen.
- Wir fühlen uns schnell – obwohl wir Umwege gehen.
- Wir fühlen uns wach – obwohl wir geistig müder werden.
Was bleibt: ein Gehirn, das verlernt zu filtern
Clifford Nass, Co-Autor der Stanford-Studie, ging noch einen Schritt weiter. Er untersuchte Viel-Multitasker langfristig – und fand:
Menschen, die ständig zwischen Aufgaben springen, verlernen mit der Zeit, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Sie werden reizoffen. Ablenkbar. Immer auf Empfang – aber nie in Tiefe. Ein Zustand, der dem Gehirn nicht entspricht, sondern es überfordert.
Die Gegenbewegung: Monotasking
Wer heute den Mut hat, eine einzige Sache auf einmal zu tun, gilt fast schon als Exot. Oder altmodisch. Oder „nicht belastbar“. Dabei ist es neurologisch gesehen die klügere Wahl.
Die University of Sussex fand 2019 in einer Meta-Studie heraus: Menschen, die sich regelmäßig auf nur eine Aufgabe konzentrieren, erleben weniger Stress, arbeiten genauer und empfinden mehr Zufriedenheit.
Sie können sich besser erinnern. Treffen überlegtere Entscheidungen. Und regenerieren schneller.
Multitasking ist keine Stärke – sondern ein Produktivitätskiller mit gutem Marketing
Die Vorstellung, zwei Dinge gleichzeitig zu schaffen, ist verlockend. Aber sie stimmt nicht. Und sie hilft auch niemandem.
Was sie aber zuverlässig tut:
Sie verschleißt das Gehirn.
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