Der Reiz des Unerreichbaren – oder warum wir uns manchmal wie Kinder benehmen

Der Reiz des Unerreichbaren – oder warum wir uns manchmal wie Kinder benehmen

Jeder kennts. Eine neue Bekanntschaft, ein verheißungsvoller Blick, vielleicht eine zufällige Berührung, die länger dauert, als sie sollte. Die ersten Nachrichten fliegen hin und her, und dein Herz legt einen kleinen Freudentanz hin, wenn ihr Name auf dem Display auftaucht. Doch dann – Stille. Ein paar Stunden. Ein Tag. Zwei.

Du wartest. Überlegst, ob du nachhaken sollst. Tust es nicht. Dann doch. Eine knappe Antwort, emotionslos, belanglos, und plötzlich ist da dieses Brennen in der Brust, dieses absurde Gefühl, dass du unbedingt mehr willst.

Und genau hier beginnt das Drama. Je weniger du bekommst, desto stärker willst du es haben. Währenddessen sitzen irgendwo auf der Welt liebevolle, aufrichtige Menschen, die zuverlässig antworten und echtes Interesse zeigen – und du? Du siehst sie nicht einmal.

Warum also zieht uns Ablehnung so stark an? Warum sind wir bereit, uns auf emotionale Achterbahnen einzulassen, nur weil jemand schwer zu fassen ist? Ist das Biologie? Psychologie? Oder einfach nur kollektiver Wahnsinn?

Das Dopamin-Dilemma – Warum das Gehirn uns sabotiert

Die Wahrheit ist: Es hat nichts mit Romantik zu tun. Es ist Chemie. Die Anthropologin Helen Fisher von der Rutgers University hat mit Hirnscans untersucht, was in unserem Kopf passiert, wenn wir uns in eine unsichere Liebesdynamik verstricken. Die Ergebnisse sind verblüffend: Emotionale Unsicherheit aktiviert genau dieselben Belohnungssysteme im Gehirn wie Kokain.

In ihrer Studie wurden Versuchspersonen, die gerade frisch verliebt, aber unsicher über die Gefühle der anderen Person waren, in einem fMRT-Scanner untersucht. Die Aktivität im ventralen Tegmentalbereich – dem Zentrum unserer Dopaminproduktion – war besonders hoch. Das bedeutet: Unser Gehirn liebt Unsicherheit, weil sie das Belohnungssystem antreibt. Mal Nähe, mal Distanz – genau diese Unberechenbarkeit hält uns gefangen.

Das lässt sich mit Glücksspiel vergleichen: Wenn wir nicht wissen, wann die Belohnung kommt, schüttet unser Gehirn mehr Dopamin aus, als wenn wir eine sichere Bestätigung bekommen. Genau deshalb bleiben wir emotional an jemanden gebunden, der uns auf Distanz hält – nicht wegen der Person selbst, sondern weil unser Gehirn ein süchtig machendes Muster daraus gemacht hat.

Liebe oder Kindheitstrauma mit romantischem Filter?

Natürlich gibt es Menschen, die nicht auf dieses Spiel hereinfallen. Doch für viele ist diese Dynamik nicht nur ein dummer Zufall – sie ist erlernt.

Die Bindungstheorie von John Bowlby und Mary Ainsworth besagt, dass unsere frühesten Erfahrungen mit Liebe – also mit Eltern, die entweder zuverlässig oder launisch waren – unser späteres Beziehungsverhalten beeinflussen. Wer als Kind emotionale Unsicherheit erlebt hat, entwickelt oft eine fatale Vorliebe für Menschen, die schwer zu fassen sind.

Psychologen wie Cindy Hazan und Philip Shaver haben genau diesen Zusammenhang untersucht. In einer groß angelegten Studie an der University of Denver fanden sie heraus, dass Menschen mit einem ängstlich-ambivalenten Bindungsstil sich besonders oft in Partner verlieben, die emotional nicht verfügbar sind. Nicht, weil sie das wollen – sondern weil es sich vertraut anfühlt.

Die Probanden der Studie wurden gebeten, vergangene Beziehungen zu beschreiben. Dabei zeigte sich ein klares Muster: Wer als Kind mit wechselhafter Zuneigung aufgewachsen ist, sucht sich unbewusst Partner, die mal Interesse zeigen und mal nicht. Das Gehirn erkennt das alte Muster – und interpretiert die Unsicherheit als Beweis für echte, intensive Liebe.

Das bedeutet: Wenn du dich immer wieder in Menschen verliebst, die dich ignorieren, dann bist du vielleicht nicht verliebt – sondern einfach nur in einem alten Muster gefangen.

Kann man das Muster durchbrechen?

Ja. Aber es ist wie mit jeder Sucht: Zuerst musst du erkennen, dass du high auf emotionaler Unsicherheit bist.

Das Columbia University Attachment Lab hat in Langzeitstudien gezeigt, dass sich Bindungsmuster ändern lassen – durch Therapie, bewusste Reflexion oder eine stabile Beziehung mit jemandem, der nicht ständig verschwindet, um dich „interessant“ zu halten. In der Studie wurden über zehn Jahre hinweg Paare mit unterschiedlichen Bindungsstilen untersucht. Menschen mit unsicherem Bindungsverhalten konnten durch gezielte Selbstreflexion und sichere Partner lernen, stabile Beziehungen zu führen.

Interessanterweise zeigte sich in dieser Untersuchung, dass Menschen, die anfangs auf unsichere Partner standen, nach mehreren Jahren bewusster Arbeit begannen, zuverlässige, beständige Beziehungen als „attraktiver“ wahrzunehmen. Das Gehirn kann sich also umprogrammieren – aber nur, wenn man erkennt, dass das alte Muster nicht Liebe ist, sondern Selbstsabotage.

Vielleicht ist die wichtigste Frage, die du dir stellen kannst: Finde ich diese Person wirklich so faszinierend – oder nur die Tatsache, dass ich sie nicht haben kann?

Echte Liebe ist kein Glücksspiel

Wir sind konditioniert, hinter dem herzurennen, was uns wegläuft. Aber wahre Nähe fühlt sich nicht wie eine Jagd an. Sie fühlt sich nicht wie ein endloses Fragezeichen an. Und wenn du dich immer wieder fragst, ob du jemandem wichtig bist, dann kennst du die Antwort wahrscheinlich längst.

Denn wahre Zuneigung braucht keine Strategie, keine Tricks und keine emotionale Achterbahn. Echte Liebe bleibt – ohne dass du sie erst verdienen musst.

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