Das aktuelle Urteil gegen Le Pen stärkt die zunehmend verbreitete Erzählung in der Trump-Regierung und unter ihren rechtspopulistischen Verbündeten in Europa, wonach liberale Eliten weltweit die Demokratie untergraben, indem sie die Justiz als Waffe gegen politische Rivalen einsetzen, die sie nicht an der Macht sehen wollen – ganz ähnlich, wie Donald Trump behauptet, selbst juristisch verfolgt worden zu sein, bevor er seine zweite Amtszeit gewann, schreibt nun das Wall Street Journal.
Elon Musk: „Das ist das Standard-Vorgehen der Linken“
„Wenn die radikale Linke nicht durch demokratische Wahlen gewinnen kann, missbraucht sie das Rechtssystem, um ihre Gegner ins Gefängnis zu bringen“, schrieb Elon Musk auf X als Reaktion auf das französische Urteil. Und: „Das ist weltweit ihr Standardvorgehen.“
Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Tammy Bruce, erklärte zum Urteil, es sei „bedenklich“, Menschen vom politischen Prozess auszuschließen, und verwies auf die „aggressive und korrupte juristische Kriegsführung“, die gegen Präsident Trump geführt werde.
Laut Camille Lons vom European Council on Foreign Relations greift das Urteil direkt in die transatlantische Debatte über Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und politische Legitimität ein. Trump habe wiederholt gesagt, ein Politiker, der im Interesse seines Landes handele, könne nicht als gesetzeswidrig gelten. Er und seine Unterstützer kritisieren regelmäßig Richter, die gegen ihn oder seine Regierung urteilen, und fordern, diese abzusetzen oder zu ersetzen.
„Weiterer Beweis für den Verfall demokratischer Prinzipien“
„In den USA, wo JD Vance und Donald Trump regelmäßig von einer ‚Demokratie durch Richter‘ sprechen, wird dieses Urteil wohl als weiterer Beweis für ein europäisches Übergreifen und den Verfall demokratischer Prinzipien gesehen“, sagte Lons.
Konservative in den USA würden das Urteil gegen Le Pen vermutlich nutzen, um zu behaupten, dass europäische Eliten mit juristischen Mitteln die rechte Opposition unterdrücken.
Das Vorgehen gegen Le Pen von der Partei Rassemblement National (RN) folgt nur wenige Monate nach der Entscheidung rumänischer Gerichte, den Ausgang der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen wegen angeblicher russischer Einflussnahme auf die TikTok-Kampagne des rechtsnationalen Kandidaten Călin Georgescu zu annullieren.
Die Wahlkommission untersagte ihm später die Teilnahme an den Neuwahlen im Mai. Georgescu bestritt jegliche Verbindungen zum Kreml und sprach von einer politischen Hexenjagd.
US-Vizepräsident JD Vance, ein scharfer Kritiker der Entscheidung gegen Georgescu, hat sich mittlerweile zum Hauptkritiker Europas innerhalb der Trump-Regierung entwickelt.
Er warf den europäischen Regierungen vor, demokratische Grundwerte auszuhöhlen, indem sie unliebsame Stimmen ausschließen – etwa durch Einschränkung der Meinungsfreiheit oder, im Fall Deutschlands, durch eine sogenannte Brandmauer, die eine Zusammenarbeit mit der AfD verhindert, obwohl diese inzwischen zweitstärkste Kraft im Land ist.
„Demokratie beruht auf dem heiligen Prinzip, dass die Stimme des Volkes zählt. Es darf keine Brandmauern geben“, sagte Vance in einer Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar.
Rechtsstaat contra Volkswille?
Viele etablierte europäische Politiker betonten, wie wichtig es sei, die Rechtsstaatlichkeit im Fall Le Pen zu wahren – und ein Großteil der Bevölkerung scheint das ähnlich zu sehen:
Laut einer Umfrage des Thinktanks Destin Commun im Januar 2025 stimmten 59 % der befragten Franzosen zu, dass die Anklage gegen Le Pen, inklusive möglichem Verbot, der „Verteidigung der Demokratie“ diene.
Für manche ist das Urteil ein Beweis dafür, dass niemand über dem Gesetz steht, sagte Stefan Marschall, Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: „Rechtsstaatlichkeit kann ein wirtschaftliches Argument sein – sogar ein Wettbewerbsvorteil für Europa.“ Das vermittle Investoren die Sicherheit, dass ihre Rechte geschützt werden, selbst wenn sie mit einflussreichen Politikern aneinandergeraten.
Aber viele rechte Nationalisten in Europa sehen darin ein politisches Manöver. „Wer Angst vor dem Urteil der Wähler hat, findet Trost im Urteil der Gerichte“, sagte Italiens Vizepremier Matteo Salvini.
Die Debatte, was die beste Form von Demokratie sei, ist so alt wie die Demokratie selbst. Die Gründerväter der USA schufen ein System aus checks and balances, um etwa Minderheiten vor der Tyrannei der Mehrheit zu schützen.
Der Schutz der Rechtsstaatlichkeit diente zudem der Sicherung von individuellen Rechten, wie zum Beispiel dem Eigentum.
Die meisten europäischen Wähler akzeptieren, dass Gerichte die Macht von Politikern einschränken dürfen – besonders in Ländern wie Deutschland, Spanien oder Italien, die in der jüngeren Geschichte diktatorische Systeme erlebt haben.
Auch die Meinungsfreiheit ist in Europa zwar anerkannt, aber an Bedingungen geknüpft: In Frankreich, Deutschland und anderen Ländern sind Hassrede und bestimmte Symbole (z. B. das Hakenkreuz) verboten.
Der aktuelle Streit zwischen den USA und Europa erinnert an ähnliche Konflikte innerhalb Europas: In Ländern wie Polen und Ungarn versuchten populistische Regierungen unmittelbar nach der Machtübernahme, Einfluss auf die Justiz zu nehmen – und wurden dafür von anderen EU-Staaten scharf kritisiert.
Neueste Kommentare