Der Mythos beginnt mit einem Pflaster. Ein kleiner Schnitt am Finger, ein aufgeschlagenes Knie, eine Schürfwunde von der letzten Fahrradtour. Jeder kennt die Szene aus der Kindheit: Die Eltern oder Großeltern sagen mit bestimmter Stimme: „Lass die Wunde an die frische Luft, dann heilt sie schneller – und bis zum Heiraten ist es wieder gut!“
Und weil es plausibel klingt (zumindest das mit der Wunde) – schließlich trocknet sie, bildet Schorf und sieht irgendwann zugeheilt aus – hat sich dieser Ratschlag über Generationen gehalten. Doch was, wenn genau das Gegenteil wahr ist?
Die Wissenschaft der Wundheilung: Warum Schorf das Problem ist
Wunden zu trocknen scheint logisch: Wenn etwas Feuchtigkeit verliert, wird es fester, widerstandsfähiger. So denken wir. Doch der Körper ist kein Stück Brot, das knusprig werden muss – er ist ein Organismus, der sich selbst regeneriert.
Hier kommt die Forschung ins Spiel.
1962 veröffentlichte der britische Mediziner George Winter eine bahnbrechende Studie: Wunden, die in einem feuchten Milieu gehalten wurden, heilten bis zu 50 % schneller als solche, die an der Luft trockneten. Der Grund? Schorf ist kein Schutz – sondern eine Barriere.
Sobald eine Wunde trocknet, bildet sich eine harte Kruste. Darunter ist das Gewebe aber noch nicht verheilt. Die neuen Hautzellen müssen unter der trockenen Schicht wachsen – das kostet Zeit und macht es für den Körper schwerer, die Wunde zu schließen.
Warum glauben wir trotzdem noch an den Mythos?
Die Antwort liegt in der Evolution – und in unserem Gedächtnis.
Vor Hunderten von Jahren, als es noch keine Pflaster oder Wundsalben gab, war Luft tatsächlich die beste Option. Eine offene Wunde mit Dreck oder Bakterien in Berührung zu bringen, bedeutete ein hohes Infektionsrisiko. Wer die Wunde trocknen ließ, konnte zumindest die größte Gefahr – das Eindringen von Keimen – minimieren.
Unser Gehirn speichert solche alten Überlebensstrategien ab. Wenn sich eine Idee über Jahrhunderte hält, fühlt sie sich richtig an – auch wenn die Wissenschaft längst etwas anderes bewiesen hat.
Heute haben wir moderne Wundauflagen, die den Heilungsprozess optimieren. Doch der menschliche Instinkt ist langsam – und so hält sich der Mythos weiter.
Wie Wunden wirklich schneller heilen: Die neue Wundpflege
Moderne Medizin setzt auf Feuchtigkeit. Statt eine Wunde trocken zu lassen, sorgen spezielle Wundauflagen dafür, dass sich ein optimaler Heilungsprozess entfalten kann.
Hier sind einige der besten Methoden:
- Hydrogele & Hydrokolloid-Pflaster: Halten die Wunde feucht und unterstützen die Zellbildung. Besonders gut für Schürfwunden oder leichte Verbrennungen.
- Antibakterielle Wundsalben: Schützen vor Infektionen und verhindern das Austrocknen der Wunde.
- Alginat-Verbände: Bestehen aus Algenfasern und sind ideal für tiefe oder nässende Wunden, weil sie Feuchtigkeit speichern und gleichzeitig überschüssige Wundflüssigkeit aufnehmen.
Warum du Omas Rat vergessen solltest (zumindest bei Wunden)
Die Wissenschaft ist sich einig: Feuchte Wunden heilen schneller als trockene.
Der Mythos, dass Wunden an der Luft besser heilen, gehört also in die Vergangenheit. Er fühlt sich richtig an, weil wir ihn seit Generationen hören – doch moderne Medizin zeigt, dass der Körper anders arbeitet, als wir lange glaubten.
Also, das nächste Mal, wenn du dich schneidest, frage dich: Folge ich meinem Bauchgefühl oder der Wissenschaft?
Und vielleicht… lässt du das Pflaster doch lieber drauf.
Danke für die Aufklärung