Koalitions-Bombe: Arbeitet die SPÖ auf ein Defizit-Verfahren hin?

Koalitions-Bombe: Arbeitet die SPÖ auf ein Defizit-Verfahren hin?

Eine Nebensatz des neuen Finanzministers Markus Marterbauer (SPÖ) bei seinem ersten Brüssel-Auftritt ließ jene aufhorchen, die ohnehin schon seit längerem vermuten, die SPÖ will nicht wirklich ein EU-Defizit-Verfahren gegen Österreich vermeiden: „Wenn die wirtschaftliche Entwicklung schwächer ausfällt als erwartet, dann hat das Auswirkungen auf die Steuereinnahmen und damit auf den Staatshaushalt.“

Und Marterbauer weiter: „Ich habe betont, dass es notwendig ist, bei der Budgetsanierung auf die gesamtwirtschaftlichen Umstände Rücksicht zu nehmen. Wir sind immerhin – wahrscheinlich – im dritten Jahr der Rezession, die Arbeitslosigkeit steigt stark.“

Angeblich existiert SPÖ-Geheimplan

Diese Aussagen befeuern folgendes Gerücht über einen bereits vorliegenden SPÖ-Geheimplan: Die Sozialdemokraten wollen mit ihrem Finanzminister das noch immer drohende EU-Defizit-Verfahren gar nicht vermeiden.

Die Vorteile, die sich für die SPÖ ergeben würden: Einerseits ließe sich dann die bisher von der ÖVP blockierte „Vermögenssteuer light“ durchsetzen – und andererseits müsse dann nicht so viel gespart werden, da etwa die Rüstungsausgaben aus dem Defizit herausgerechnet werden könnten.

Schon während der ersten Koalitionsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und NEOS meinte Andreas Schieder (SPÖ): „Es wäre gescheit, das Defizit-Verfahren zur Anwendung zu bringen, weil es wesentliche Erleichterungen im Konsolidierungsprozess mit sich bringen würde”, sagte er zur “Presse”.  Schieder weiter: „Der  Konsolidierungsbedarf würde sich damit massiv verringern.“ Die Rede ist von mindestens 15 Milliarden Euro Einsparungsbedarf. Ohne ein Defizitverfahren würde die Summe weit höher liegen.

Dass ein EU-Defizit-Verfahren der Reputation der österreichischen Bundesregierung schaden werde, könnte der Dreier-Koalition egal sein – die Umfragewerte sind ohnehin im Keller.

Hintergrund: Das EU-Defizit-Verfahren

Ein EU-Defizitverfahren ist ein Mechanismus, mit dem die Europäische Union (EU) Mitgliedstaaten überwacht und sanktioniert, wenn sie gegen die im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) festgelegten Haushaltsregeln verstoßen. Es wird auch als Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Excessive Deficit Procedure, EDP) bezeichnet.

Wann wird ein Defizitverfahren eingeleitet?

Ein Verfahren kann eingeleitet werden, wenn ein EU-Staat eine der folgenden Maastricht-Kriterien überschreitet:

  1. Haushaltsdefizit: Wenn das jährliche öffentliche Defizit eines Landes mehr als 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beträgt.
  2. Staatsverschuldung: Wenn die Gesamtverschuldung eines Landes über 60 % des BIP liegt und nicht in ausreichendem Tempo sinkt.

    Der Ablauf des Verfahrens

  1. Prüfung durch die EU-Kommission:

    • Die Europäische Kommission bewertet die Haushaltslage eines Staates anhand von Berichten und Statistiken.
    • Wenn sie einen Verstoß gegen die Defizitregeln feststellt, empfiehlt sie dem EU-Ministerrat, ein Defizitverfahren einzuleiten.
  2. Empfehlungen und Fristen:

    • Die betroffene Regierung erhält Empfehlungen zur Korrektur des Defizits oder der Schuldenlage.
    • Es werden Fristen gesetzt, um Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung umzusetzen.
  3. Überwachung der Fortschritte:

    • Die Kommission überprüft regelmäßig, ob der Staat seine Haushaltslage verbessert.
    • Falls keine ausreichenden Maßnahmen ergriffen werden, kann die EU Sanktionen verhängen.
      Mögliche Sanktionen

Wenn ein Land die EU-Vorgaben nicht einhält, kann es verschiedene Strafen geben:

  • Verwarnungen und politischer Druck
  • Geldstrafen: Bis zu 0,2–0,5 % des BIP des jeweiligen Landes
  • Kürzung von EU-Geldern (z. B. Strukturfördermittel)
  • Zinslose Einlagen: Ein Land kann gezwungen werden, Geld auf einem Sperrkonto zu hinterlegen, das später in eine Geldstrafe umgewandelt werden kann.

    Beispiele für Defizitverfahren

  • Deutschland & Frankreich (2003–2005): Beide Länder überschritten die 3-%-Defizitgrenze, erhielten jedoch keine Sanktionen, da sie politische Unterstützung im Ministerrat hatten.
  • Griechenland (2009–2018): Die Finanzkrise führte zu einem massiven Defizitverfahren, das Sparmaßnahmen und mehrere Rettungspakete nach sich zog.
  • Italien (2018–2019): Wegen hoher Schulden drohte ein Verfahren, das aber nach Verhandlungen abgewendet wurde.

    Aktuelle Lage (2024)
  • Während der Corona-Pandemie wurden die Defizitregeln vorübergehend ausgesetzt, um wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen zu ermöglichen.
  • Seit 2024 sind die Regeln wieder in Kraft, aber es gibt Reformen zur flexibleren Anwendung.

Das Defizitverfahren dient also dazu, die finanzielle Stabilität der Eurozone zu sichern und eine zu hohe Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten zu vermeiden.

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