Herbert Kickl (55) wirkt sehr gelassen, ausgeglichen, ruhig – der Abbruch der Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP hat dem FPÖ-Bundesparteiobmann offenbar persönlich nicht geschadet.
Der Chef der stärksten Parlamentspartei spricht in seinem Büro hinter dem Hohen Haus mit exxtra24-Mitgründer Richard Schmitt und Roland Tichy, dem Herausgeber und Eigentümer des bekannten deutschen Politik-Portals Tichys Einblick, über die brisantesten politischen Themen.
Das große Thema in Österreich ist ja das Budget-Desaster in Österreich – wie sehen Sie das: Fühlen sich da die Wähler betrogen? Das hätten wir ja schon ein bisschen früher wissen können.
Herbert Kickl: Ja, zu diesem Befund komme ich auch. Dazu muss man ja vielleicht ein bisschen ausholen: Hinter diesem Budget-Desaster steckt auf der Ebene darunter ein riesiges Wirtschafts-Desaster. Und hinter diesem Wirtschaftsdesaster steckt wiederum eine Fülle von politischen Fehlentscheidungen, die dazu geführt haben, dass wir in dieser desaströsen wirtschaftspolitischen Situation sind – dass wir jetzt das dritte Jahr in Folge eine Rezession haben. Wir werden das dritte Jahr in Folge ärmer. Und es ist niemand für irgendwelche Entscheidungen verantwortlich, sondern man möchte den Menschen einreden, dass die Dinge vom Himmel gefallen sind.
Von den politischen Fehlentscheidungen nenne nur ein paar, das sind die ganz großen Dinge, die nicht nur in Österreich Relevanz haben, sondern natürlich auch in Deutschland auf europäischer Ebene. Etwa die Sanktionen gegen Russland – die haben eine verheerende Auswirkung. Wir haben die Klimapolitik, die ich gerne als Klimakommunismus bezeichne, weil es nichts anderes ist, als eine zentral gelenkte Planwirtschaft, mit dem Ziel, fossile Energie zu verteufeln. Und das hat Österreich mehr betroffen – natürlich auch Deutschland, das noch dazu aus der Atomenergie ausgestiegen ist – als andere. Da kommen ganz, ganz viele Faktoren zusammen. Auch von dieser katastrophalen Politik im Zusammenhang mit Corona, wo ja Österreich, im negativen Sinne übereifrig gewesen ist. Und das sind alles Faktoren, die hier zusammenkommen und diese desaströse wirtschaftliche Situation verursacht haben.
“Die letzte Regierung hat die Bilanzen gefälscht”
Dazu ist noch gekommen, dass die letzte Bundesregierung, die schon gemerkt hat, dass es nicht mehr so gut steht im Vertrauen der Wählerschaft, dann auch noch alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, Stimmen irgendwie zu kaufen: Also man hat mit beiden Händen das Geld zum Fenster rausgeschmissen. Und damit das nicht so schlecht ausschaut, hat man die Bilanzen gefälscht. Und die breite Öffentlichkeit hat vor der Wahl nicht gewusst, wie es wirklich ausschaut. Im Gegenteil, ich kann mich nur erinnern an Aussagen des damaligen ÖVP-Spitzenkandidaten, der gesagt hat, da ist alles in bester Ordnung, wir wachsen uns heraus aus dieser Krise, das ist keine Schwierigkeit. Die deutsche Wirtschaft hat vielleicht eine Grippe, aber wir maximal einen Schnupfen.
Waren diese Aussagen mit wahlentscheidend?
Herbert Kickl: Das war im Grunde genommen eine wesentliche Grundlage auch der Wahlentscheidung. Ich sage immer, wenn die Bevölkerung gewusst hätte, wie es wirklich ausschaut, dann hätte die ÖVP, die ohnehin schon eine historische Niederlage erlitten hat, noch eine schwerere Niederlage kassiert. Und dieses Budgetloch ist ja dann erst ein paar Tage nach der Wahl offensichtlich geworden. In der Zwischenzeit hat es sich verdoppelt. Und ich bin mir nicht ganz sicher, ob wir nun schon alles wissen.
“Der einzig faire und vernünftige Weg ist eine neue Wahl”
Das war auch der Grund, warum ich dem Bundespräsidenten gesagt habe, nachdem ich die Verhandlungen mit der ÖVP dann für beendet erklärt habe, dass der faire Weg und der einzig vernünftige Weg jetzt wäre, in Neuwahlen zu gehen. Einfach deshalb, weil das, was dort gemessen wurde Ende September, nicht mehr dem realen Bild der Stimmungslage der Bevölkerung entspricht. Einfach weil seit dieser Wahl so viele Dinge offenkundig geworden sind, die zuvor keiner gewusst hat.
Wenn man jetzt auf Deutschland schaut, dann stellt man fest, wir haben vor der Wahl, die ja erst vor kurzem war, noch einen halbwegs soliden Haushalt gehabt, jetzt will Kanzler Merz 1000 Milliarden Schulden extra aufnehmen. Wie wirkt das für Sie als Österreicher? Wollen Sie ein paar Milliarden von Deutschland?
Herbert Kickl: Es ist verrückt. Wenn man schaut, womit Friedrich Merz versucht hat, diese Wahl zu seinen Gunsten noch zu beeinflussen und womit er vielleicht gerettet hat, was noch zu retten ist. In Erinnerung habe ich auch relativ knackige Ansagen von ihm im Zusammenhang mit der Asyl- und Migrationspolitik. Es passiert dann das, dass sich diese Versprechen nach der Wahl auflösen. Oder, dass diese Überschriften zurückgenommen werden.
Wenn dann das Kleingedruckte in den Vordergrund kommt, dann kommen die Wenns und die Abers und die Vielleichts, dann lösen sich die Versprechen auf. Und auf der anderen Seite taucht etwas auf, in Form von einer Billion Euro, 1000 Milliarden, wovor vorher kein Mensch davon gesprochen hat.
Das ist aus meiner Sicht eine ganz gefährliche Entwicklung, diese Form von Unehrlichkeit, diese Form von Positionswechsel, die in Wahrheit eigentlich ein Angriff von Innen auf die Demokratie ist. Weil die Menschen nicht mehr das Gefühl haben können, dass das, was ihnen vor der Wahl erzählt wird, dann auch tatsächlich das ist, was zur Umsetzung kommt, weil sie das Gefühl haben, man geht nicht ehrlich mit ihnen um. Alles das ist für die Demokratie schädlich.
Als Demokrat muss man eigentlich die Erwartungshaltung haben, dass die Gewählten das tun, was die Bevölkerung haben möchte und nicht das, was sich irgendwelche Eliten für die Bevölkerung ausdenken, immer mit dem Aspekt der Alternativlosigkeit. Und ich halte das für einen Wahnsinnsakt, den man da in Deutschland jetzt vorantreibt. Ich weiß nicht, was das sein soll. Der Versuch, die europäische Wirtschaft irgendwie zu retten. Ich verstehe es, dass man Infrastrukturmaßnahmen wahrscheinlich braucht. Allerdings war das vorher auch kein großes Thema, so weit ich das beobachtet habe. Dass man da jetzt um, ich weiß nicht, wie viele Milliarden, eine Aufrüstung hochfahren will, offenbar in der Hoffnung, damit die Wirtschaft europaweit anzukurbeln – ich halte das für einen Akt der Verrücktheit. Was machen wir denn dann mit den Panzern? Was machen wir dann mit den Flugzeugen? Was produzieren die? Die produzieren gar nichts. Das ist der hilflose Versuch, irgendwie einen positiven wirtschaftlichen Impuls in Gang zu setzen.
Uns wird es ja erzählt, dass Putin bereits demnächst im Panzer durch das Brandenburger Tor in Berlin rollt. Und Sie sagen, es ist nichts anderes als ein getarntes Programm, das die Schwäche der Wirtschaft übertölpeln soll. Wir rüsten jetzt Automobilfabriken wieder in Panzerfabriken um. Das ist dann weniger Rüstung als Konjunkturförderung.
Herbert Kickl: Wir haben ja auch schon Trump als Feind. Das Pärchen Trump-Musk. Die kommen ja jetzt dazu. Ich frage mich schon langsam, mit wem ist diese Europäische Union jetzt nicht, nennen wir es einmal vorsichtig, in einem Konfliktverhältnis. Mit Russland hat man das gemeinsame Tischtuch zerschnitten und alles zertrümmert an Porzellan, was man zertrümmern konnte. Jetzt hat man die Amerikaner auch auf diese Liste genommen. Mit den Chinesen ist es sowieso schon länger so. Das ist ein Möchtegern-Großmacht-Gehabe, wo ich das Gefühl habe, die Herrschaften wissen überhaupt nicht, wie ihre tatsächliche Bedeutung in der Welt ist. Das muss man erst einmal zusammenbringen, sich zwischen alle Stühle zu setzen. Das ist das Ergebnis der Politik dieser EU-Kommission.
Ich möchte noch einmal zum Budget zurückkommen. Machen wir eine Was-wäre-wenn-Frage: Sie wären jetzt Kanzler. Was wäre jetzt Ihr Ansatz, wie man dieses Budget rettet, das Sie so erben? Wie kann man das eigentlich in den Griff kriegen?
Herbert Kickl: Vielleicht muss man zunächst einmal folgenden Unterschied machen: Es gibt Parteien, für die ist ein Defizit und ein stetig anwachsender Schuldenhaufen ein Problem. Die sehen das als Hypothek für die kommenden Generationen. Die sagen, das können wir nicht machen, weil die Schulden von heute und sind die Steuern von morgen. Das ist ein Zugang zu den Dingen, da zähle ich uns als FPÖ jetzt auch dazu.
Dann gibt es aber die zweite Seite von Parteien, denen das ganz offenkundig wurscht ist. Dazu gehören die Sozialisten, die haben Keynes nur so weit gelesen, bis sie zum Schuldenmachen gekommen sind. Dass das dann irgendwann einmal rückgeführt werden muss, das habe ich in meiner ganzen Beobachtung von vielen Jahrzehnten sozialistischer Budget- und Wirtschaftspolitik so nicht erlebt. Dass die das jetzt in diese Richtung treiben, das wundert mich nicht. Und die ÖVP ist auch einmal so – und einmal so. Das ist auch eine Spezialdisziplin dieser Partei, die sagt eigentlich bei jedem Thema Position “A” und Position “Nicht A”. So ist es jetzt auch beim Defizitverfahren. Aber das ist einmal die wichtige Einstellung. Für uns war es vollkommen klar, wir wollen dieses Defizitverfahren nicht haben. Deswegen sind wir angetreten, um in diesen Verhandlungen diese Mine sofort zu entschärfen. Zum einen, weil es negative Auswirkungen hat, logischerweise auf das Rating, auf die Kreditwürdigkeit, und die Kosten damit einen negativen Impact auf die Wirtschaft haben.
“Defizitverfahren ein Griff in das rot-weiß-rote Lenkrad”
Zum zweiten aber ist das logischerweise ein Griff in das rot-weiß-rote Lenkrad durch die Europäische Kommission. Das ist eine Form von Fremdbestimmung, die sich mit unserem Selbstverständnis nicht verträgt. Und deswegen waren wir da so ambitioniert dahinter, wohl wissend, dass dieses Paket nicht ausreichen wird. Und jetzt sind wir beim zweiten Punkt, weil man muss das machen, was jeder Haushalt auch macht: Man muss das, was ich ausgabenseitig sozusagen jedes Monat zu bedienen habe, auf seine Sinnhaftigkeit hinterfragen. Da gibt es glaube ich sehr vieles, was wir nicht brauchen. Da rede ich von Unterstützungen für die Europäische Union, von den vielen, vielen Geldern, die wir unter den verschiedensten Titeln ins Ausland zahlen. Da rede ich aber vor allem auch von einem ganz großen Kostenfaktor: Das ist der gesamte Asylbereich. Wo wir ja für eine völlige Veränderung des Zugangs im Asylbereich sind. Und das sind Positionen, die könnten uns Milliarden sparen. Ich bin absolut dagegen, zu den Schulden weitere Schulden dazuzugeben, indem wir uns bei Sky-Shield beteiligen. Das nutzt uns ja nichts, wenn die Europäische Union sagt, ihr könnt das herausrechnen, wir nehmen es nicht auf unsere Liste. Die Schulden bleiben ja trotzdem. Das ist der nächste Wahnsinn.
Sie haben es schon erwähnt: Die Außenministerin sagt wiederholt, dass die Neutralität Österreichs überholt sei, dass nun auch offen über einen NATO-Beitritt gesprochen werden soll. Ist die Neutralität in Österreich tatsächlich überholt?
Herbert Kickl: Also zunächst einmal, glaube ich, muss man die Frau Außenminister darauf aufmerksam machen, dass die geltenden Gesetze und die geltende Verfassung auch für sie Gültigkeit haben. Sie kann sich nicht als Außenministerin über diese Dinge hinwegsetzen, sondern sie hat auf diese Verfassung, in der die militärische Neutralität Österreichs als immer während festgeschrieben ist, einen Eid geleistet. Das ist einmal das allererste.
Jetzt kann sie natürlich sagen, ich bin anderer Meinung. Da muss man aber schauen, ist das auch die Meinung der Bundesregierung? Und wenn es die Meinung der Bundesregierung ist und wenn es dazu eine parlamentarische Mehrheit gibt, dann muss man das machen, was der einzig gangbare Weg ist, dann muss man eine Volksabstimmung darüber machen. Und genau das tut man nicht, weil man weiß, dass die Österreicher sehr, sehr viel Wert auf diese Neutralität legen.
Nun sagt ja EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, 800 Milliarden wollen wir für Verteidigung ausgeben. Die Neutralität spielt dann mit rein, wenn man davon ausgeht, dass Russland natürlich eine aggressive Macht ist, die es irgendwie aufzuhalten notwendig ist. Sehen Sie diese Bedrohung?
Herbert Kickl: Ich sehe diese Bedrohung nicht in dieser Form, sondern das ist eine Geschichte, die ich zu großen Teilen wirklich unter dem Schlagwort der Desinformation einordnen würde. Interessanterweise in die Welt gesetzt von denjenigen, die Desinformation angeblich bekämpfen. In der Zeit nach dem Eisernen Vorhang haben wir eigentlich keine Bedrohung aus Russland gehabt. Ausgerechnet diejenigen, die uns vor der russischen Bedrohung schützen sollten, haben diese russische Reaktion überhaupt erst ins Leben gerufen. Eben durch einen expansiven Kurs im Osten. Und das ist ja für jeden nachzulesen, dass es wiederholte Male Ersuchen der Russen gegeben hat, bitte hört damit auf und lasst vor allem die Ukraine aus dem Spiel, ansonsten sind wir zu einer Gegenreaktion genötigt. Das hat man nicht getan, ganz im Gegenteil. Ich sehe ein legitimes Interesse Russlands diesen Bereich unmittelbar vor der eigenen Haustür als seine Einflusssphäre aus sicherheitspolitischen Interessen heraus nicht einfach der NATO zu überlassen.
“Russland hat ein legitimes Schutzinteresse”
Ich glaube die NATO würde das umgekehrt ganz genau so sehen und ich höre ja in Österreich immer das Argument, ja das ist ja alles so nahe an Österreich. Das stimmt schon, aber wenn ich mir dann anschaue, gehen wir da an die Nordgrenze der Ukraine und schauen mal wie weit ist das von dort nach Moskau – dann sehen wir, das ist eigentlich gar nicht so weit. Also ist das, glaube ich, ein legitimes Schutzinteresse Russlands. Was hätte Putin machen sollen? Hätte er es zugelassen, dass man zum Beispiel die Ukraine jetzt wirklich in die NATO eingliedert oder dort Waffensysteme stationiert, die auch eine Offensivtauglichkeit haben, ja dann wäre vielleicht in Russland bald jemand anderer am Ruder gesessen. Und der hätte gesagt: Putin, das hast du zugelassen – da müssen wir in aller Härte zurückschlagen. Also da zu sagen, dort sitzt der Böse und da sitzen auf der anderen Seite in Europa die armen Opfer, das könnte in dieses Schema von Orwell passen, der gesagt hat, die mächtigste Form der Lüge ist das Weglassen.
Jetzt muss ich natürlich fragen, wann bekommen Sie eine Fußfessel – und wann wird ihre Kandidatur beendet?
Herbert Kickl: Ich würde ja nicht ausschließen, dass es politische Kräfte gibt, die daran bereits arbeiten. Wir haben ja in Europa die annullierte Wahl in Rumänien, wir haben die Tatsache, dass Marine Le Pen unter dubiosen Umständen da rausgeschossen wurde, wir haben in der Türkei die Methode, dass ein ungeliebter Kandidat plötzlich ein Diplom vorlegen muss, damit er überhaupt kandidieren darf und ansonsten im Gefängnis landet.
Man hat ja das Gefühl, dass es da eine gewisse Bedrohung für Politiker gibt, die ihre Positionen vertreten. Fürchten Sie sich da?
Herbert Kickl: Nein, ich fürchte mich nicht, sondern im Gegenteil, das ist eigentlich eine zusätzliche Motivation, weil ich mir denke, wie hilflos muss man eigentlich sein, wenn man zu solchen Mitteln greifen muss. Ich denke, das hat ja noch nie funktioniert. Aber um dazu ein Beispiel zu bringen: Ich kann zwar einen Reformator auf einem Scheiterhaufen verbrennen, aber ich kann nicht den Geist der Reformation damit ersticken.
“Das fängt ja klein an – etwa mit neuen Hass-Delikten”
Aber das fängt ja im Kleinen an. Das fängt damit an, dass man die Deliktspalette immer mehr ausweitet, dass man neben klar messbaren Dingen Straftatbestände einführt, die man immer als Gummiparagrafen bezeichnen muss, Hassdelikte, die natürlich Hass nur in eine Richtung quasi definieren. Hass ist ein Gefühl, aber kein Fall für ein Gericht.
Und das hat eben sozusagen dieses Angenehme, dass man es in alle Richtungen biegen und drehen kann, oder dass man Diskussionen darüber führt, was einer demokratisch gewählten Partei überhaupt noch zusteht. Darf der Vertreter XY einer Partei einer Volksvertretung vorsitzen, oder darf er das nicht, oder darf er das nur eingeschränkt? Dürfen diese Parteien überhaupt irgendwo ein Bankkonto haben? Das ist eine Form von struktureller Gewalt, die zeigt, wo die wirklich totalitären Charaktere sitzen.
Und das ist dann auch mit eine Form der Ausgrenzung, der politischen Stigmatisierung, der Kriminalisierung, der Verfolgung. So hat das Ganze begonnen.
Noch zu einem anderen Thema: Jetzt beginnt die aktuelle Bundesregierung mit einer Bremse beim Familiennachzug. Wie bewerten Sie das?
Herbert Kickl: Wir haben von dieser Volkspartei schon so viel im Zusammenhang mit Asyl und Migration gehört, wo dann jedes Mal das Gegenteil herausgekommen ist, dass man sich eigentlich schon entsetzt abwendet, wenn man die nächste Ankündigung hört. “Die Balkanroute ist geschlossen” etwa. Sie war es schlicht und ergreifend nicht. Wir haben bei Corona gehört, es wird keinen einzigen Asylantrag geben, ohne dass der Antragsteller an der Grenze ein Gesundheitszeugnis vorweist. Das Ergebnis war, es gibt keine Gesundheitszeugnisse, dafür Rekordzahlen. Wir haben gehört, dass keine Anträge aus Syrien mehr entgegengenommen werden, das war im Dezember letzten Jahres. Im Dezember hat es natürlich neue Anträge gegeben, im Jänner schon wieder, im Februar und, und, und. Also, sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie das Gegenteil von dem tun, was sie ankündigen, und eben den Versuch unternehmen, mit irgendwelchen Alibi-Aktionen gute Stimmung für sich zu machen.
Denken wir das einmal durch: Wenn die Argumentation lautet, und die würde ich auch unterschreiben, dass die Systeme überlastet sind, und man nennt jetzt das Bildungssystem und das Gesundheitssystem, das Sozialsystem, dann frage ich mich. Warum will ich dann nur den Familiennachzug stoppen? Der Familiennachzug ist nur ein kleiner Teil dieser Völkerwanderung.
Diese Forderung nach einem Totalstopp, den wir vertreten, passt mit dem klaren Bekenntnis zum Asyl- und Migrationspakt der Europäischen Union nicht zusammen, weil der von einem Totalstopp nichts wissen will. Und das war ja auch unser Zugang in den Verhandlungen, hier einen vollkommenen Wechsel im Zugang zu dieser Problematik durchzuführen. Das ist diese berühmte “Festung Österreich”. Da haben sich dann alle aufgeregt und wollten das lächerlich machen. Ich habe gesagt, diese Festung wird mit Verordnungen gebaut, sie wird mit Erlässen gebaut und sie wird mit dem Kappen von Zugängen zum Sozialsystem und mit dem Kappen zum Zugang zur Staatsbürgerschaft gebaut.
Und wenn ich diese Deattraktivierungs-Maßnahmen im Inland mit der Ankündigung kombiniere, keinen Asyl-Antrag mehr in Österreich anzunehmen, dann werden wir dieses Asylproblem und die überlasteten Systeme sehr, sehr schnell los sein.
Friedrich Merz hat ja im Wahlkampf diesen Asyl-Stopp gefordert. Und jetzt haben wir das Gefühl, es ändert sich die Formulierung: Stopp nur, wenn die Nachbarstaaten und in dem Fall Österreich zustimmen. Wird Österreich zustimmen, wenn Deutschland sagt, der bleibt bei Österreich?
Herbert Kickl: Also auf der rechtlichen Ebene würde Österreich gar nichts anderes übrig bleiben als zu sagen: Jeden, der im Grenzgebiet zwischen Österreich aufgegriffen wird und bei dem klar zu erkennen ist, dass derjenige aus Österreich gekommen ist, müsste man zurücknehmen. Zustimmung ist ja etwas anderes. Zustimmung geht darüber. Ich glaube nicht, dass die Regierung das tun wird, weil sie weiß, dass sie umgekehrt dann diese Leute in Österreich behalten muss, weil man ja nicht weiß, woher der ursprünglich wirklich kommen.
“Müssen zu einer Grenzverteidigung übergehen”
Ich war damals in meiner Zeit als Innenminister mit einer ähnlichen Ausgangssituation konfrontiert, weil die Bayern genau das gleiche angekündigt haben. Dann habe ich gesagt, dann bleibt uns ja gar nichts anderes über, als das gleiche an unserer Außengrenze zu machen. Damit wird dann etwas entstehen, was gar nicht negativ ist, nämlich ein Domino-Effekt und am Ende haben wir die Asylproblematik dort, wo sie hingehört – an der EU-Außengrenze. Das nutzt uns aber auch nur insofern, als dass man dort auch von einem Grenzmanagement weg und zu einer Grenzverteidigung übergehen muss.
Das ist die Perspektive, die man braucht – und anders werden wir das nicht in den Griff bekommen. Aber die Problematik, die ich bei Friedrich Merz und bei der österreichischen Regierung sehe, warum die das Angekündigte nie machen werden: Weil es einen Konflikt mit der Europäischen Union bedeutet, weil es einen Konflikt mit dem EU-Immigrationspakt bedeutet und weil es einen Konflikt mit der Judikatur des EuGH und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bedeutet. Und das schreiben sie ja überall groß drauf, dass sie sagen: Das muss alles EU-konform sein. Es muss zusammenpassen. Und so ist es jetzt auch beim Beispiel Familiennachzug: Man sagt nicht, wir stoppen, sondern wir nehmen die Anträge zwar an, aber wir lassen es eine Zeit lang liegen. Außer es beruft sich jemand auf sein Recht auf Familiennachzug nach Artikel 8. Das macht dann jeder.
Also aus meiner Sicht hätten Österreich und Deutschland das Recht zu einem Asyl-Stopp, weil ein Deal zwei Seiten hat. Wenn die EU ihren Teil des Deals – den Schutz der Außengrenze – nicht einlöst, dann sehe ich auch keine Notwendigkeit, sich auf der anderen Seite an diese Vereinbarungen zu halten.
Also der Schutz der Außengrenze sagen Sie ist EU-Aufgabe und wenn sie dem nachkommt kann ich intern agieren?
Herbert Kickl: Es ist nicht unbedingt operativ eine Aufgabe der EU – das können durchaus Grenzsoldaten der Griechen machen. Sondern es ist die Aufgabe, eine Rechtslage herzustellen, die ein Überrollen durch die Völkerwanderer verhindert. Und das geht aus meiner Sicht nur, indem wir Asyl auf seinen Kern zurückführen und Asylanträge nur mehr annehmen, wenn sie aus einem unmittelbaren Nachbarland erfolgen, aber nicht, wenn sie von Menschen gestellt werden, die aus sicheren Drittstaaten kommen.
Sie waren Innenminister 2017 bis 2019, das große Problem sind ja noch immer illegal einreisende Islamisten oder Terrorgefährder. Was haben Sie damals als Minister so an Wahrheiten erfahren?
Herbert Kickl: Noch eine Ergänzung zu den Familiennachzügen: Wenn ich damit die Asylproblematik – übrigens auch die Sicherheitsproblematik – ein wenig entschärfen will, dann kann ich aber auf der anderen Seite nicht hergehen und – so wie die Bundesregierung das nun gemacht hat – IS Bräute reimportieren. Wir holen also die Gefährder noch mit dem Flugzeug nach Österreich. Auf der anderen Seite werden diejenigen Leute, die bei uns Schutz auf Zeit genießen, zu hunderten mit der Staatsbürgerschaft ausgestattet, sodass ich sie überhaupt nicht mehr loswerden kann – weil das passiert jetzt in Folge der Zuwanderungswellen ab 2015.
“Der Verfassungsschutz war eine Bruchbude”
Zu den islamistischen Gefährdern: Als ich als Innenminister in dieses Amt gekommen bin und mich das erste Mal dann mit den sogenannten Verfassungsschützern auseinandergesetzt habe, da habe ich etwas vorgefunden, das diesen Namen eigentlich nicht verdient, das muss man sagen. Bei einem Gebäude würde man sagen: Das ist eine Bruchbude, da hat alles von A bis Z eigentlich nicht den internationalen Standards entsprochen.
Das fing an bei der Auswahl des Personals und ging weiter zur Sicherheitsüberprüfung des Personals, bis zur Ausbildung, bis zur Unterbringung. Da hat eigentlich nichts gepasst. Das ist keine Miesmacherei von meiner Seite, sondern es haben ja die Verhandlungen im Vorfeld dieser schwarz-blauen Regierung bereits festgeschrieben, dass es jetzt eine dringende Reform des Verfassungsschutzes braucht. Wenn alles super gewesen wäre, hätte man das ja gar nicht in ein Regierungsprogramm hineinschreiben müssen.
Zum Problem des Islamismus haben wir versucht, den Fokus auf diese Dinge hinzulenken, bewusstseinsbildend zu wirken, vor allem auch darauf hinzuwirken, dass wir schon mit Möglichkeiten, die die offene Recherche bietet, sehr sehr viele Erkenntnisse gewinnen können. Ich hab zum Beispiel einmal ein paar Fachleute, die ich dann dort gefunden habe und die sich für das Thema interessiert haben, in den Ministerrat geholt: Dort habe ich sie einmal erklären lassen, wie das wirklich ausschaut.
Woher beziehen sie eigentlich die Erkenntnisse zu den Terrorgefährdern? in Deutschland erfahren wir immer wieder, dass angeblich irgendwelche ausländischen Geheimdienste uns warnen. Wieviel kommt da von den USA?
Herbert Kickl: Auch in meiner Zeit gab es logischerweise diesen Informationsaustausch. Selbstverständlich gerade dort, wo es um die Frage der terroristischen Bedrohung geht, funktioniert da ein weltweites System – und zwar vollkommen egal, wer wo wie regiert. Da gibt es auch diesen Informationsaustausch. Auch zwischen den USA und Russland, obwohl die manchmal in einer durchaus konfrontativen Position einander gegenüberstehen. Und logischerweise ist jetzt Österreich hier keine so große Nummer, aber wir haben schon auch aufgrund der Dienste einige Informationen aus dem Ausland, speziell aus dem Balkanbereich, die andere nicht in dieser Art haben. Also es gibt ein globales oder transatlantisches oder europäisches gemeinsames Zusammenarbeiten.
Und ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich damals Innenminister war, da war mit dem Brexit die Auflösung oder die Rückabwicklung der britischen Mitgliedschaft in vollem Gang. Ich habe mich damals sehr dafür eingesetzt, den Briten nicht die Tür komplett zuzuschlagen, sondern gerade im Sicherheitsbereich hier diese Verbindungslinien nicht zu kappen.
Nochmals zur Grenzüberwachung: Wäre das bei uns in Österreich wirklich so umsetzbar, wie die Ungarn das mit ihrem Grenzzaun machen – die Ungarn sind in einem massiven Konflikt mit Brüssel.
Herbert Kickl: Ja, ich finde, das ist ja die nächste Form der Verlogenheit: Die Europäische Union schreibt in ihren Migrationspakt hinein, dass man die Außengrenzen jetzt bewachen muss, schützen muss – und die Ungarn bekommen Strafen genau dafür, dass sie das mit dem Zaun machen. Der ist ja im Wesentlichen dort aufgebaut worden, wo Ungarn die Außengrenze der Europäischen Union bildet. Das ist eigentlich der konsequente Ansatz, aber sie kassieren dafür Millionenstrafen. Dieselbe EU, die diese Strafen ausspricht, schreibt in ihr Programm hinein, dass man eigentlich das tun muss. Das ist verlogen.
Aber die Polen dürfen das wiederum
Ja, die Polen sind jetzt die Guten. Die Polen dürfen jetzt alles. Alles, weil man das alles moralisch rechtfertigen und überhöhen kann, damit darf man alles.
Wir haben in Kürze die Wahl in Wien. Jetzt gibt es wieder Umfragen, dass die SPÖ noch immer auf knapp 40% kommt. Wie erklären sie sich das?
Herbert Kickl: Naja, da muss man sich immer fragen, wer macht diese Umfragen. Das ist einmal das eine. Aber Faktum ist natürlich: In Wien strahlt dieser Apparat unglaublich aus in alle Lebensbereiche, wenn eine Stadt über Jahrzehnte von derselben Partei regiert, beherrscht wird. Dann wird sie irgendwann einmal missbraucht – und das ist dort ja überall passiert.
Die Einflusssphäre der SPÖ Wien ist gigantisch. Das zeigt sich natürlich an einer bestimmten Form der Unabhängigkeit, das ist immer eine Form von Drohpotenzial und das können die Sozialisten perfekt: Die machen jedem Angst davor, dass die Welt zusammenbricht, wenn sie nicht mehr am Ruder wären. Die SPÖ hat alle wesentlichen Bereiche komplett durchdrungen mit ihren Parteigängern.

Es gibt KEINEN Besseren als Kickl!!!!
👍👍👍