Ein wichtiges Signal für Europas Klimapolitik: Die neue österreichische Bundesregierung hat sich überraschend von der Unterstützung des EU-Klimaziels für 2040 distanziert. Damit verliert die Europäische Kommission einen ihrer bisherigen Fürsprecher für das ambitionierte Vorhaben, die Treibhausgasemissionen um 90 Prozent zu senken – und das zu einem kritischen Zeitpunkt.
Neue Regierung, neue Linie
Noch im Februar 2024 war Österreichs damalige Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) eine der ersten, die die 90-Prozent-Empfehlung der Kommission öffentlich begrüßte. Ihr Ziel: Österreich bis 2040 klimaneutral machen. Doch mit der Angelobung der neuen Regierung – bestehend aus ÖVP, SPÖ und NEOS – ist eine andere Tonlage zu vernehmen.
Auf Anfrage des Nachrichtenportals Politico erklärte ein Sprecher des nun zuständigen Landwirtschafts- und Umweltministeriums, dass man sich zum 90-Prozent-Ziel aktuell nicht bekennen könne. Zunächst müsse der konkrete Vorschlag der Kommission abgewartet und im Detail geprüft werden. Besonders wichtig sei, dass das Klimaziel auch „Wettbewerbsfähigkeit, Ernährungssicherheit und eine faire Transformation“ garantiere.
Brüssel unter Druck
Die Zurückhaltung Wiens kommt für die EU-Kommission zur Unzeit. Die ursprüngliche Absicht war, die Empfehlung noch im März 2024 in einen verbindlichen Gesetzesvorschlag zu gießen. Doch der wachsende Widerstand aus mehreren Mitgliedstaaten – darunter nun auch Österreich – führte zu einer unbefristeten Verzögerung.
EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra prüft inzwischen, wie das Ziel mit sogenannten „Flexibilitäten“ politisch tragfähig gemacht werden kann. Eine besonders umstrittene Option: Ein Teil der Emissionsreduktionen könnte durch CO₂-Ausgleichszahlungen an Drittstaaten erfolgen – also durch den Kauf internationaler Klimazertifikate, wie sie im Pariser Abkommen vorgesehen sind. Frankreich und Deutschland befürworten diesen Ansatz, Kritiker hingegen warnen vor einer Aushöhlung der europäischen Klimapolitik.
Ob Österreich dieses Modell unterstützt, ließ das Umweltministerium offen. Man verwies lediglich darauf, dass Kommissar Hoekstra eine „pragmatische Herangehensweise“ signalisiert habe.
Rückbau der grünen Klima-Architektur
Dass der Klimaschutz in der neuen Regierung nicht mehr denselben Stellenwert hat wie unter der früheren türkis-grünen Koalition, ist offensichtlich: Das bisherige „Superministerium“ für Klima, Energie, Umwelt und Mobilität, das Leonore Gewessler leitete, wurde aufgelöst. Zuständigkeiten wurden verteilt – Klimapolitik landete im konservativ geführten Landwirtschaftsressort.
Zudem ein symbolträchtiger Schritt: Die Abschaffung des Klimabonus, mit dem bisher CO₂-Bepreisung sozial abgefedert wurde, war eine der ersten Maßnahmen der neuen Koalition. Auch über andere klimapolitische Vorhaben, etwa neue Förderungen oder Klimaverträge, wird derzeit kein klares Bekenntnis abgegeben.
Keine klare Linie – aber eine spürbare Verschiebung
Ob es sich beim Rückzug vom 2040-Ziel um eine bewusste Kehrtwende handelt, lässt das Ministerium offen. Die Position werde „derzeit innerhalb der Bundesregierung und mit den Bundesländern abgestimmt“, heißt es aus Wien. Eine explizite Zurückweisung der früheren Haltung gibt es nicht – aber auch kein Festhalten daran.
Die Grünen, inzwischen in der Opposition, betonen, dass Gewesslers Unterstützung für das Ziel wissenschaftlich begründet war – und auf europäischer Ebene damals nicht infrage gestellt wurde, auch nicht von der ÖVP. Man habe sich im Ministerrat zwar nicht explizit auf die 90 Prozent geeinigt, die Linie sei aber grundsätzlich durch wissenschaftliche Empfehlungen gestützt gewesen.
EU-Klimapolitik im Balanceakt
Das europäische Klimaziel für 2040 ist mehr als eine Zahl – es ist ein Gradmesser für Europas Haltung zur globalen Verantwortung. Dass ausgerechnet Österreich, lange als Vorreiter in Umweltfragen gefeiert, sich nun zurückzieht, sendet ein deutliches Signal: Klimapolitik ist längst kein Konsensthema mehr – und wird zunehmend zu einem Feld der Interessensabwägung zwischen Wirtschaft, Sicherheit und Umwelt.
Credit: APA
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