Die formelle Aufforderung wird voraussichtlich im Laufe des Jahres erfolgen, wenn die NATO ihren Mitgliedern aktualisierte Anforderungen vorlegt, um die kollektive Verteidigung zu stärken. Laut Quellen aus mehreren Verteidigungsministerien wächst die Frustration innerhalb der NATO über Großbritanniens Beitrag zu den Schutzmaßnahmen gegen Langstreckenraketenangriffe.
Ein unabhängiges Gremium, das von der Regierung beauftragt wurde, die strategische Verteidigung des Landes zu überprüfen, zeigt sich besorgt über die Schwächen in Großbritanniens Raketenabwehr. Das Gremium wird von Lord Robertson, einem ehemaligen Verteidigungsminister und NATO-Generalsekretär, sowie General Sir Richard Barrons, dem ehemaligen Leiter des UK Joint Forces Command, geleitet. Ihr Fokus liegt zunehmend auf der Notwendigkeit zusätzlicher Investitionen.
Mangel an Abwehrsystemen
Ein NATO-Entwurf mit dem Titel Capability Target 2025 fordert Großbritannien auf, in bodengestützte Luftabwehrsysteme (Surface-Based Air Defence, SBAD) zu investieren, um kritische Infrastruktur wie Kernkraftwerke und Militärstützpunkte zu schützen.
Interviews mit militärischen Experten und Offizieren zeigen, dass die Gefahr wächst, da Länder wie China, Russland und Iran immer fortschrittlichere ballistische Raketen entwickeln, die Kontinente mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit überqueren können.
Die Bedrohung
- Gefährdete Schiffe und Basen: Die Royal Navy ist zunehmend durch moderne Raketen bedroht, die von Ländern wie Iran oder Russland an Stellvertretergruppen wie die Huthis im Jemen geliefert werden.
- Angriffe auf britische Militärstützpunkte: Basen wie Akrotiri und Dhekelia auf Zypern, die zentrale Überwachungs- und Spionageanlagen beherbergen, könnten bald Ziel von Angriffen werden.
- Neue Bedrohung durch nichtstaatliche Akteure: Milizen und Terrorgruppen könnten Langstreckenraketen nutzen, um britisches Territorium oder Einrichtungen anzugreifen.
- Langfristige Bedrohung: Experten warnen, dass Großbritannien innerhalb von 15 Jahren durch ballistische Raketen aus jeder Richtung getroffen werden könnte.
Unzureichende Verteidigung in Großbritannien
Anders als andere europäische Länder verfügt Großbritannien derzeit über keine bodengestützten Luftabwehrsysteme zum Schutz kritischer Infrastruktur. Während Länder wie Deutschland massiv in Luftabwehr investieren – darunter das Arrow-3-System aus Israel –, hat Großbritannien solche Initiativen bislang vernachlässigt.
Ein aufschlussreiches Ereignis
Am 1. Oktober 2024 beobachteten britische Konsularbeamte auf der Luftwaffenbasis Akrotiri auf Zypern eine Welle von Raketen über dem Mittelmeer, als Iran 200 ballistische Raketen auf Israel abfeuerte. Diese Raketen wurden größtenteils durch Israels Luftverteidigungssysteme wie Iron Dome abgefangen.
Die britischen Streitkräfte hingegen waren bei der zweiten Angriffswelle nur eingeschränkt handlungsfähig, da ihre Kampfjets nicht mit Systemen ausgestattet sind, die ballistische Raketen abfangen können – eine Lücke, die Verteidigungsexperten als besorgniserregend einstufen.
Die steigende Bedrohung durch ballistische Raketen
Während des Kalten Krieges ging man davon aus, dass ballistische Raketen mit nuklearen Sprengköpfen die einzige Bedrohung darstellten. Doch diese Annahme ist überholt: Länder wie Iran besitzen mittlerweile 3000 ballistische Raketen, darunter Modelle wie die Emad, die eine Geschwindigkeit von 7400 km/h erreichen können.
Russland verfügt über eine weit größere Anzahl, darunter Interkontinentalraketen wie die Oreshnik, die mit Mach 10 fliegen und Ziele bis zu 5500 Kilometer entfernt erreichen können – weit genug, um Großbritannien zu bedrohen. Gleichzeitig stehen China und die USA in einem Wettlauf um die Entwicklung von Hyperschallraketen, die noch schwieriger abzufangen sind.
Internationale Investitionen und Zusammenarbeit
Großbritanniens Verbündete haben erkannt, wie kritisch der Aufbau von Luftabwehrsystemen ist. Die USA verfügen mittlerweile über umfangreiche Abwehrsysteme, um sowohl sich selbst als auch NATO-Partner zu schützen. Deutschland hat als Teil der European Sky Shield Initiative das israelische Arrow-3-System gekauft, das ballistische Raketen außerhalb der Erdatmosphäre abfangen kann – auch Österreich will sich daran mit einer Investition in Höhe von sechs Milliarden Euro beteiligen, der Nutzen für die recht kleine Republik wird von Kritikern als „sehr überschaubar“ bezeichnet. Mit dem kommenden Mega-Spar-Budget der neuen Bundesregierung dürfte auch die Teilnahme Österreichs an diesem Projekt abgesagt werden.
Im Oktober unterzeichnete Keir Starmer ein Sicherheitsabkommen mit Deutschland, um gemeinsam an Raketenabwehrsystemen zu arbeiten. Zudem hat Verteidigungsminister John Healey die Diamond Initiative ins Leben gerufen, eine Partnerschaft mit NATO-Staaten zur besseren Integration von Abwehrsystemen.
Während sich die Bedrohung durch ballistische Raketen weltweit verschärft, bleibt Großbritannien durch jahrzehntelange Vernachlässigung seiner Luftverteidigung akut gefährdet. Investitionen in moderne Raketenabwehrsysteme sind dringend notwendig, um sowohl die Bevölkerung als auch kritische Infrastruktur zu schützen. Ohne rasches Handeln könnte Großbritannien in den kommenden Jahren noch verwundbarer werden – eine Schwachstelle, die von feindlichen Akteuren leicht ausgenutzt werden könnte.
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