Warum „die große Liebe“ vielleicht nur eine Illusion ist

Warum „die große Liebe“ vielleicht nur eine Illusion ist

Die Welt liebt solche Geschichten. Sie sind der Stoff, aus dem Bestseller gemacht sind, aus dem die großen Hollywood-Küsse bei Regen bestehen. Julia Roberts rennt durch New York. Leonardo DiCaprio versinkt im eiskalten Ozean. Rachel küsst Ross im Central Perk, während im Hintergrund eine warme Jazzmelodie spielt.

Es ist die Idee von „der großen Liebe“ – dieser einen, schicksalhaften Begegnung, die unser Leben in ein Vorher und ein Nachher teilt. Es ist der Traum, dass irgendwo da draußen ein Mensch wartet, der uns vervollständigt.

Doch was, wenn das alles nur ein Märchen ist? Ein romantisches Konstrukt, das uns mehr Schaden zufügt, als wir wahrhaben wollen?

Die Chemie des Verliebtseins – und warum sie uns täuscht

Wenn wir jemanden treffen, der etwas in uns auslöst, dann beginnt die Magie oft ganz banal – in unserem Kopf.

Der Neurobiologe Dr. Larry Young beschreibt die Verliebtheit als eine Art biochemischen Cocktail, der in unserem Gehirn serviert wird. Dopamin, das uns euphorisch macht. Oxytocin, das uns Nähe spüren lässt. Serotonin, das uns dieses seltsame Kribbeln im Bauch beschert.

„Wenn wir verliebt sind, funktioniert unser Gehirn ähnlich wie bei einem Drogenrausch,“ erklärt Young. „Es ist ein Rauschzustand, der uns glauben lässt, wir hätten etwas Außergewöhnliches gefunden.“

In einer Studie der Rutgers University (2011) scannte Young die Gehirne frisch verliebter Paare und stellte fest, dass die Aktivität im Belohnungszentrum extrem hoch ist – vergleichbar mit der Wirkung von Kokain. Alles leuchtet, alles strahlt. Doch wie bei jeder Droge folgt auf den Rausch der Absturz.

Denn das Gehirn kann diesen Zustand nicht aufrechterhalten. Nach etwa 12 bis 24 Monaten lässt der biochemische Zauber nach. Der Rausch verblasst. Die Realität kehrt zurück. Schlimm in diesem Fall, wenn das nur bei einer Person von beiden der Fall ist, doch ist es oft nur eine Frage der Zeit.

Die Macht der Geschichten – Warum wir an den Mythos glauben wollen

Wir könnten uns damit abfinden. Könnten akzeptieren, dass Liebe nicht immer Feuerwerk ist, sondern manchmal auch nur ein stilles Glimmen. Aber wir tun es nicht. Stattdessen jagen wir weiter diesem Gefühl hinterher, diesem „Mehr“, dieser großen, alles überschattenden Liebe.

Warum?

Vielleicht, weil wir Menschen nun mal Geschichtenerzähler sind. Wir brauchen Narrative, um die Welt zu verstehen, um unserem Leben Bedeutung zu geben. Und was könnte eine bessere Geschichte sein als die von zwei Seelen, die füreinander bestimmt sind?

Die Soziologin Eva Illouz beschreibt in ihrem Buch Why Love Hurts (2012), wie die Popkultur uns seit Jahrzehnten mit dieser Idee füttert. Filme, Bücher, Lieder – sie alle erzählen uns, dass Liebe immer dramatisch sein muss. Dass es Schicksal ist, wenn wir jemanden treffen. Dass es nur „den einen Menschen“ gibt, der uns wirklich versteht.

„Die Liebe ist zur Ware geworden,“ schreibt Illouz. „Sie wird vermarktet und verkauft, und wir alle kaufen sie – manchmal, ohne es zu merken.“

Diese romantische Erzählung wird uns von Kindesbeinen an eingeimpft. Schon Disney-Prinzessinnen wissen: Der Prinz wird kommen, und wenn er es tut, dann wird alles gut. Aber was, wenn der Prinz nie kommt? Oder, noch schlimmer: Was, wenn er kommt, aber nicht bleibt?

Wenn die große Liebe verblasst – was bleibt dann?

Vielleicht müssen wir lernen, dass Liebe nicht immer wie in den Filmen ist. Dass sie manchmal leise ist, unspektakulär. Dass sie nicht immer die Hauptrolle spielt, sondern manchmal nur eine kleine Nebenrolle in unserem Leben einnimmt.

Die Therapeutin Esther Perel hat es treffend formuliert:

„Früher erwarteten wir von einer Beziehung Sicherheit und Gemeinschaft. Heute soll eine Person alles sein: unser bester Freund, unser leidenschaftlicher Liebhaber, unser Seelenverwandter. Kein Wunder, dass so viele Beziehungen daran zerbrechen.“

Die Wahrheit ist: Liebe ist selten ein fertiges Bild. Sie ist eher ein Puzzle, bei dem immer ein paar Teile fehlen.

Wir romantisieren oft den Anfang einer Beziehung – das erste Kennenlernen, die ersten Küsse, die Nächte, in denen man nicht schlafen will, weil Reden wichtiger ist. Doch die wirkliche Kunst liegt vielleicht nicht im Anfang, sondern im Dranbleiben.

Nicht jede Liebe brennt lichterloh. Manche Liebe ist mehr Glut als Flamme. Manchmal geht es nicht darum, ständig Schmetterlinge im Bauch zu haben, sondern darum, einen Menschen immer wieder neu zu wählen – auch an den Tagen, an denen das Leben grau ist.

Die große Liebe gibt es vielleicht nicht – aber echte Liebe schon

Vielleicht ist es Zeit, den Mythos der „großen Liebe“ loszulassen.

Vielleicht gibt es nicht „den einen Menschen“. Vielleicht gibt es viele Menschen, mit denen wir etwas Echtes aufbauen könnten. Vielleicht ist die Liebe kein Schicksal, sondern eine Entscheidung.

Vielleicht müssen wir aufhören, nach Perfektion zu suchen – und anfangen, das Unvollkommene zu lieben.

Und vielleicht ist genau das die wahre Liebe: Nicht der eine, große, dramatische Moment – sondern die vielen kleinen, stillen Momente dazwischen.

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