Der Wind dürfte sich auch in den USA leicht drehen – zumindest schreiben immer häufiger auch US-Medien kritisch über die Situation von Wolodymyr Selenskyj.
So berichtet nun die New York Times: „Die hohe Popularität, die der ukrainische Präsident zu Beginn der russischen Invasion genoss, mit einer Zustimmungsrate von etwa 90 Prozent, ist stark gesunken.“
Seit Russland vor drei Jahren in die Ukraine einmarschierte, hat Präsident Wolodymyr Selenskyj eine militärische Offensive gegen seine Hauptstadt, Mordpläne, Korruptionsskandale in seiner Regierung, politische Machtkämpfe und schwerwiegende Rückschläge im Kampf seiner Armee gegen Russland überstanden. Er konnte sich jedes Mal auf die Unterstützung der Ukrainer verlassen.
Nun steht Selenskyj vor einer neuen Herausforderung: Donald J. Trump im Weißen Haus. Der ukrainische Präsident muss die Beziehungen zum wichtigsten Verbündeten seines Landes und zu einem US-Präsidenten pflegen, der ihm gegenüber skeptisch eingestellt ist und die militärische Hilfe kritisch sieht.
Umfragewerte für Selenskyj stürzten ab
Trumps Amtsantritt kommt für Selenskyj in einer heiklen Phase. Die einst enorme Popularität, die er während der Kriegsanfänge genoss, ist stark eingebrochen. Neueste Umfragen zeigen, dass seine Unterstützung auf fast 50 Prozent gefallen ist – und noch niedriger ausfällt, wenn hypothetische Szenarien für Wahlen nach einem möglichen Waffenstillstand mit Russland betrachtet werden.
Eine weitere Herausforderung für Selenskyj ist die Wiederbelebung der politischen Opposition in der Ukraine, die durch die Aussichten auf einen Waffenstillstand und mögliche Wahlen Auftrieb erhält. Seine Gegner schöpfen zudem Hoffnung aus der scharfen Kritik, die Trump und sein Team gegen Selenskyj geäußert haben. Zwei seiner politischen Rivalen aus der Wahl 2019 – Ex-Präsident Petro O. Poroschenko und Ex-Premierministerin Julia Tymoschenko – haben bereits Kontakt zu Trumps Team gesucht. Tymoschenko reiste nach Washington, um an einigen Veranstaltungen zur Amtseinführung teilzunehmen.
Selenskyj selbst war bei der Zeremonie nicht anwesend. Er hatte angekündigt, nur auf Einladung Trumps nach Washington zu reisen. „Er glaubt an das Prinzip der Ein-Mann-Show, aber das funktioniert nicht“, sagte Olexij Gontscharenko, Abgeordneter der oppositionellen Partei Europäische Solidarität, über Selenskyjs Rolle als Symbolfigur des ukrainischen Widerstands seit der russischen Invasion 2022. Mehr Pluralismus würde der Kriegsanstrengung helfen, fügte er hinzu: „Wir sind nicht Russland.“
Selenskyj mobilisierte seine Bürger und internationale Verbündete durch nächtliche Videobotschaften und regelmäßige Auslandsreisen. Doch darüber hinaus hat er sich immer mehr auf einen engen Kreis loyaler Berater zurückgezogen, während er den Kontakt zu Oppositionsfiguren beschränkt und ihre Ratschläge meist ignoriert, so Gontscharenko.
Gleichzeitig ist keine Wahl in der Ukraine angesetzt. Der Krieg diente als Begründung für das Aussetzen der Wahl, Russland könnte die Abstimmungen mit Raketenangriffen stören. Millionen Ukrainer, darunter Soldaten an der Front, Geflüchtete in Europa und Menschen in besetzten Gebieten, könnten von einer Wahl ausgeschlossen sein. Während die Ukrainer also für ihre Demokratie kämpfen, können sie diese nicht leben.
Dennoch haben Oppositionsfiguren bemerkt, wie Rückschläge im Krieg Selenskyjs Popularität geschwächt haben. Laut Verfassung müssen Wahlen nach Aufhebung des Kriegsrechts einberufen werden. Das Parlament verhängte das Kriegsrecht erstmals im Februar 2022 nach der großangelegten russischen Invasion und verlängert es seither regelmäßig.
Laut einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie aus dem Dezember genießt Selenskyj noch die Unterstützung einer knappen Mehrheit der Ukrainer: 52 Prozent vertrauen ihm weiterhin. Doch in hypothetischen Präsidentschaftswahlen schneidet er schlechter ab.
Früherer Armee-Chef auf Platz 1 vor Selenskyj
So zeigt eine Umfrage der Agentur Leading Legal Initiatives, dass der ehemalige Armee-Chef Walery Saluschnyj in einem möglichen ersten Wahlgang mit 24 Prozent vor Selenskyj liegt, der 16 Prozent erreicht. Julia Tymoschenko belegt mit 12 Prozent den dritten Platz. Weder Saluschnyj noch Tymoschenko haben bislang eine Kandidatur angekündigt. Der Rückgang der Unterstützung könnte jedoch nicht nur politische, sondern auch militärische Folgen für Selenskyj haben, da dies seine Rolle als Oberbefehlshaber in Frage stellen könnte.
„Es bedarf kaum weiterer Erklärungen, welche Katastrophen durch Delegitimierung und einen Kontrollverlust entstehen können“, schrieb Anton Hruschezkij, Geschäftsführer des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie, in einer Analyse über die sinkenden Zustimmungswerte.
Das hat Trump und sein Umfeld jedoch nicht davon abgehalten, Selenskyj zu attackieren. Bei einer Kundgebung im September bezeichnete Trump Selenskyj etwa als „den größten Verkäufer der Geschichte“ – für all die Milliarden an Militärhilfe, die er zur Verteidigung seines Landes organisiert hat.
Nach der Amtseinführung zeigte sich Trump jedoch offener. Er lobte Selenskyjs Bereitschaft zu Verhandlungen und kritisierte Russlands Präsident Wladimir W. Putin scharf, den er beschuldigte, Russland mit dem Krieg „zu zerstören“. Selenskyj und sein Team bemühen sich nun, den Kontakt zu Trumps Mannschaft zu intensivieren. Der ukrainische Präsident traf Trump im September in New York. Andrij Jermak, der Stabschef des ukrainischen Präsidenten, sprach im Dezember auf dem Capitol Hill mit dem designierten Vizepräsidenten JD Vance und dem zukünftigen nationalen Sicherheitsberater Michael Waltz, damals noch Abgeordneter aus Florida, wie zwei mit dem Treffen vertraute Personen berichteten.
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