Für Canyon sollte 2025 ein Meilenstein werden: Erstmals wollte das Unternehmen die Umsatzmarke von einer Milliarde Euro knacken. Vorstandschef Nicolas de Ros Wallace hatte dieses Ziel vor zwei Jahren ausgegeben, als Canyon jährlich um fast 40 Prozent wuchs und seine Expansion in die USA vorantrieb. Doch inzwischen kämpft die gesamte Branche mit einer Absatzflaute. Statt der erhofften Milliarde rechnet Wallace laut einem Artikel in Welt für dieses Jahr mit einem Umsatz, der kaum über den 800 Millionen Euro des Vorjahres liegt. „Die Situation ist herausfordernd“, räumt er ein.
Im Vergleich zu anderen Herstellern steht Canyon mit einem leichten Wachstum noch verhältnismäßig gut da. Viele Mitbewerber schrumpfen, einige mussten Insolvenz anmelden, und zahlreiche Fahrradläden sowie Online-Händler haben aufgegeben. Die Lager sind überfüllt, während die Nachfrage stagniert. 2023 wurden in Deutschland nur noch 3,85 Millionen Fahrräder und E-Bikes verkauft – ein weiterer Rückgang um 2,53 Prozent im Vergleich zum bereits schwachen Vorjahr. Damit sinkt der Absatz bereits im vierten Jahr in Folge, diesmal nicht mehr aufgrund von Lieferengpässen, sondern wegen mangelnder Kaufbereitschaft.
Die Hersteller haben darauf reagiert und ihre Produktion um 13,8 Prozent gedrosselt – sie liegt nun wieder auf dem Niveau von 2019. Doch die Umsätze fallen weiter. Laut Zweirad-Industrie-Verband (ZIV) sanken sie im Vergleich zum Vorjahr um 10,3 Prozent. Eine der Hauptursachen: massive Rabattaktionen. Während in vielen anderen Branchen die Preise steigen, gibt es im Fahrradhandel seit drei Jahren eine anhaltende Preisschlacht. Online wie im Fachhandel werden Modelle teils mit zweistelligen Preisnachlässen angeboten. Besonders stark betroffen sind klassische Mountainbikes ohne Elektroantrieb.
Auch E-Bike-Markt bricht ein
Auch der lange stabile E-Bike-Markt zeigt erste Schwächen. Mehr als die Hälfte der verkauften Fahrräder in Deutschland sind inzwischen elektrisch angetrieben, doch ihr Durchschnittspreis ist von 2950 auf 2650 Euro gefallen – ein Rückgang um rund zehn Prozent. Die Hoffnung, dass sich der Markt 2024 erholen würde, hat sich nicht erfüllt, und selbst für 2025 bleiben die Aussichten verhalten.
„Ab 2026 rechnen wir mit einer deutlichen Erholung“, sagt Katharina Hinse vom ZIV. Erste positive Signale gebe es im Service- und Reparaturgeschäft. Canyon setzt jedoch nicht allein auf eine Erholung des Marktes, sondern geht mit einer angepassten Strategie in die Offensive. Bisher war das Unternehmen vor allem für seinen Direktvertrieb über das Internet bekannt. Nun erweitert es sein Geschäftsmodell.
In den USA startete Canyon das „MyCanyon“-Programm, mit dem Kunden Design und Ausstattung ihrer Räder individuell anpassen können. Ab Sommer soll dieser Service auch in Europa verfügbar sein, zunächst allerdings nur für hochpreisige Modelle ab 10.000 Euro.
Ein weiterer zentraler Schritt ist der Ausbau des stationären Handels. Ende des Monats eröffnet Canyon in München einen neuen Flagship-Store, neben den bestehenden Standorten in Koblenz und Kalifornien. Zudem soll das Netzwerk autorisierter Service-Partner von 350 auf 600 ausgebaut werden. Diese Partner übernehmen nicht nur Reparaturen, sondern montieren und übergeben auch online bestellte Räder gegen Aufpreis.
Zusätzlich setzt Canyon auf spezialisierte Fachhändler, die ausschließlich Canyon-Bikes vertreiben, Testfahrten anbieten und geführte Ausfahrten organisieren. „Das Interesse an stationären Angeboten ist groß“, sagt Wallace. An sonnigen Wochenenden kommen in Koblenz bis zu 500 Besucher.
Trotz der Krise bleibt Wallace optimistisch: „Die Stimmung in der Branche hellt sich wieder auf. Wir erwarten eine Normalisierung der Lage im vierten Quartal.“ Ob diese Prognose eintrifft, wird sich zeigen.
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