Warum Männer leiser leiden – und Frauen öfter darüber sprechen

Warum Männer leiser leiden – und Frauen öfter darüber sprechen

Es beginnt oft mit einem Husten. Nicht der harmlose, kurze, sondern der, der sich tief in die Lunge gräbt und einen Moment lang das Brustbein pochen lässt. Neben dir sitzt jemand auf der Couch, das Gesicht blass, die Stirn gerunzelt – und sagt nichts.

Fragt man ihn: „Wie geht’s dir?“, kommt ein knapper Satz: „Alles gut.“

Nur dass es das nicht ist.

Während viele Frauen zum Telefon greifen, der Freundin schreiben oder mit ihrer Ärztin sprechen, gehen viele Männer erst dann zum Arzt, wenn die Beschwerden schon Wochen dauern – oder der Partner sie dazu drängt. Ein Verhalten, das nicht auf Faulheit oder Stolz beruht, sondern tief in unserer Sozialisation verankert ist.

Das große Schweigen: Männer sprechen seltener über Schmerzen

Dass Männer ihre Beschwerden häufig nicht äußern, ist kein Einzelfall, sondern statistisch messbar. Studien zeigen, dass Männer Schmerz intensiver empfinden, ihn aber seltener mitteilen. Eine Untersuchung des Schmerzforschers Jeffrey Mogil von der McGill University (2019) konnte belegen, dass Männer in der Gegenwart anderer Männer ihre Schmerzen systematisch herunterspielen, während sie sich in Anwesenheit von Frauen eher öffnen.

Das Schweigen ist also nicht angeboren – es ist erlernt.

Die Erziehung zum „starken Geschlecht“

Die Soziologen Toni Schofield und R.W. Connell haben in ihrer Forschung aufgezeigt, dass klassische Männlichkeitsideale – wie Unabhängigkeit, Stärke und Kontrolle – dazu führen, dass Männer Krankheiten verdrängen, Symptome bagatellisieren und Behandlungen verzögern.

Schon als Kinder lernen viele Jungen: „Indianer kennen keinen Schmerz.“ Es sind Sätze wie dieser, die – gut gemeint – Frühwarnsysteme zerstören.

Frauen hingegen werden häufiger ermutigt, über körperliches Befinden zu sprechen, sich Hilfe zu holen und Gefühle zu reflektieren. In vielen Kulturen wird weibliche Fürsorglichkeit sozial belohnt – während männliche Verletzlichkeit als Schwäche wahrgenommen wird.

Was das mit echter Gesundheit macht

Diese Unterschiede in der Kommunikation haben weitreichende Folgen.

Männer sind laut Daten der WHO weltweit häufiger von vermeidbaren Todesursachen betroffen, weil sie Warnzeichen übergehen: Herzinfarkte, Depressionen, chronische Schmerzen. Auch Suizidraten sind bei Männern deutlich höher, vor allem, weil sie psychische Probleme seltener thematisieren – geschweige denn behandeln lassen.

Die Gesundheitspsychologin Cornelia Merz erklärt: „Gesundheitsverhalten ist stark vom Rollenbild geprägt. Was Männer oft brauchen, ist nicht nur medizinische Hilfe – sondern ein gesellschaftlicher Rahmen, in dem sie sie auch in Anspruch nehmen dürfen.“

Und die Frauen? Reden sie wirklich „mehr“ – oder nur anders?

Es ist ein Klischee, dass Frauen einfach „mehr jammern“. Tatsächlich geht es nicht um Quantität, sondern um Qualität.

Die amerikanische Psychologin Shelley Taylor prägte bereits Anfang der 2000er die Theorie vom „Tend-and-Befriend“-Muster – eine Stressreaktion, die bei Frauen (stärker als bei Männern) zu kommunikativem Austausch und sozialer Nähe führt, statt zu Rückzug oder Konfrontation.

Frauen verarbeiten Schmerz durch Sprache, Männer eher durch Handlung oder Verdrängung. Das ist kein Naturgesetz – aber ein tief verankerter Mechanismus, der durch Medien, Erziehung und Peergroups weitergegeben wird.

Was sich ändern muss – und langsam auch ändert

In den letzten Jahren gibt es ein zartes Umdenken. Männlichkeit wird neu verhandelt, öffentlich, sensibel, oft auch kontrovers. Kampagnen wie „Real Men Talk“ in Kanada oder das deutsche Projekt „Männergesundheit“ versuchen, das Tabu des männlichen Schweigens zu brechen.

Denn Verletzlichkeit ist nicht unmännlich. Sie ist ehrlich. Und sie kann Leben retten.

Wenn Männer leiser leiden, hören wir oft zu spät hin

Es ist nicht die fehlende Empfindsamkeit. Es ist das eingeübte Verhalten, das Schweigen, das Aushalten, das Sich-Zusammenreißen. Männer leiden nicht weniger. Sie leiden leiser. Und darin liegt das Risiko.

Was es braucht, ist nicht nur medizinische Aufklärung – sondern eine neue Kultur des Zuhörens. Eine, die auch den stillen Schmerz ernst nimmt.

Teilen:
Show Comments (0) Hide Comments (0)
0 0 Abgegebene Stimmen
Article Rating
Subscribe
Notify of
guest
0 Comments
Oldest
Newest Most Voted
Inline-Rückmeldungen
Alle Kommentare anzeigen
0
Ich würde mich über Ihre Meinung freuen, bitte kommentieren Sie.x
()
x